Prozessuale Diagnostik

Ein wesentliches Element meiner Arbeit ist die prozessuale Diagnostik, die entsprechend dem beiderseitigen Erkenntnisprozess laufend angepasst wird. Im Gegensatz zur klinischen Diagnostik, die nur eine Momentaufnahme sein kann, wird in der Therapie auf Basis der Klient-Therapeut-Beziehung die Diagnose schrittweise erarbeitet und verstehbar gemacht.

 

Klinische Diagnostik

Klinische Verfahren sind immer standardisierte Testverfahren, die meist über Fragebögen oder strukturierte Interviews angewendet werden. Analog zum "Rattenversuch" analysiert dabei der Psychologe den Patienten von Außen, verändert aber unbeabsichtigt auch sein Verhalten. Dieser in der Wissenschaft gut erforschte "Hawthorne-Effekt" besagt, dass die Teilnehmer einer Studie ihr natürliches Verhalten ändern, weil sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen und damit soziale Aspekte hineinspielen. Um diesen Effekt abzumildern bzw. auszuschalten, hat man bei den Tests Kontrollfragen eingebaut bzw. verwendet auch unterschiedlich strukturierte Tests. Auch wenn klinische Verfahren schnell und kostengünstig sind, gibt es deutliche Hinweise dafür, dass bestimmte psychologische Effekte überhaupt erst durch Beobachtung entstehen, eine Theorie, die sehr stark an die Quantenmechanik und die zweite Relativitätstheorie erinnert.

 

Prozessuale Diagnostik

Bei der prozessualen Diagnostik sitzt sowohl der Therapeut als auch der Klient im gleichen Käfig,  was zwar das Verhalten beider verändert, der Therapeut aber die Möglichkeit hat aufgrund seines "Beziehungswissens" seine eigene emotionale Resonanz "herauszurechnen" bzw. die Informationen des Klienten unmittelbar auf ihre Kongruenz und Stimmigkeit im Kontext zu überprüfen. Dazu muss man sagen, dass Therapeuten ohnehin nur die subjektive Wirklichkeitserfahrung ihres Klienten untersuchen und erst wenn diese zu offensichtlich von der Realität abweicht, diese zum Thema machen. Um die emotionalen Bewertungen unserer Kienten systematisch zu erforschen, verwenden wir die "Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte" (VEE), eine zentrale Interventionsform der Gesprächspsychotherapie bei der der Therapeut die  Gefühle oder gefühlsmäßigen Meinungen des Klienten aufgrund seiner eigenen Wahrnehmung als "Hypothese" formuliert und der Klient diese dann bestätigt oder korrigiert. Diese Methode wird oft auch als Aktives Zuhören bezeichnet und ist ein wesentlicher Teil des hermeneutischen Verstehens, wodurch sich die Hypothesen langsam "vergenauern".

 

Sowohl Therapeut wie Klient sollen gesunde und beschädigte Anteile des Erlebens und Verhaltens von den dahinterliegenden lebensgeschichtlichen Strukturen her wahrnehmen und verstehen. Therapie ist somit nicht nur eine „Situation der Intervention“, sondern immer zugleich auch Diagnose, da im therapeutischen Prozess kognitive Einsicht und emotionales Betroffensein zusammengehören.

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